Das frühe Werk. Band 1 - Der Mann im Zimmer

Von Wolfgang Kubin (Autor/in)., Dehui Hai Rao (Übersetzer/in). | 236 Seiten | Erschienen: 06. 10. 2015 | ISBN: 9783902735737 | 1.Auflage

Die Beatles sangen einst Without going out of your door, you can know the ways of Heaven. Diese Gedanke stammt von Laotse. Der Mann im Zimmer ist der neue, der deutsche Laotse. In 81 Kapiteln wie das Tao Te King (Daodejing) besingt er die Krise der Jahre um 1968.

Auf eine Fahrkarte
Immer noch trägst du den Stempel und läßt mich wissen, an welchem Tag, um welche Zeit, auf welcher Strecke
wir zum ersten Male Partner waren.
Ich habe dich nicht verworfen am nächsten Tag, zu einer anderen Zeit, auf einer anderen Route.
Noch immer trage ich dich bei mir, auch wenn es die Gefährten von einst schon lange nicht mehr gibt.

Übersetzung ins Chinesische: Hai Rao

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Das Ganze soll es sein. Bemerkungen zum frühen Werk

Es hat in meinem Leben wunderbarerweise immer wieder denkwürdige Momente gegeben, so daß ich nie an den Zufall glauben musste. Hier wirkte und wirkt natürlich zusätzlich der Konfirmationsunterricht nach. Ende der 50er, vielleicht noch Anfang der 60er Jahre hörte ich in Salzbergen, einem katholischen Dorf an der Ems, von der Vorsehung. Pastor Becker aus der nahen Ortschaft Ohne eröffnete uns wenigen Kindern der evangelisch-reformierten Gemeinde, daß es das Wort Zufall in der Bibel nicht gebe. Alles sei in die Hand Gottes gelegt. Wir trafen uns über ein bis zwei Jahre einmal pro Woche nachmittags in den Räumen der Volksschule, die ich 1955/56 kurz besucht hatte, bevor ich zum Gymnasium Dionysianum ins ebenfalls katholische Rheine überwechselte. Der angrenzende Friedhof war da noch klein, und ich konnte nicht ahnen, daß dort einmal gut zwanzig Jahre später meine Mutter (1923-1977) neben meiner Großmutter (1889-1977) begraben sein würde. Salzbergen, wo mein Schreiben begann, blieb ich also bis heute verbunden. Allein die Grabpflege mahnt schon meine Rückkehr in einem jeden Jahr an.
Es fügt sich alles, wie es sich fügt. Einer der letzten denkwürdigen Momente, der mir Anlaß gab, mich an das über Jahrzehnte nicht angerührte Jugendwerk zu wagen, war eine Lesetournee mit dem heute in Berlin und London lebenden chinesischen Dichter Yang Lian (geb. 1955). Zwischen Ende Januar und Anfang Februar 2014 stellten wir seinen Gedichtband Konzentrische Kreise (Tongxinyuan) einem wunderbar geneigten Publikum in Literaturhäusern und in Konfuzius-Instituten vor. Die qualvolle Übersetzung, die bald ein Jahr zuvor bei Hanser erschienen war, hatte mich drei Jahre meines Lebens und manchen auch zur Sprache gebrachten Unmut gekostet. Zwischen Stuttgart und Düsseldorf waren wir insgesamt in sieben Städten unterwegs. Meist mit der Eisenbahn, weniger mit dem Flugzeug. Wo immer ein Aufenthalt drohte, ob in einer Bahnhofshalle, in einem Wartesaal auf dem Flughafen oder ganz einfach im Zug, ob im Stehen oder im Sitzen, der Dichter hielt seinen Klapprechner aufgeschlagen, mal auf den Knien, mal im Arm, nicht unbedingt auf einem Tisch, und er schien eifrig zu schreiben. Erst allmählich erklärte er mir auf meine Fragen, was ihn überall so sehr umtrieb. Er stelle gerade sein Gesamtwerk für einen Verlag auf dem Festland zusammen. Acht Bände sollen es werden, ja vielleicht sogar zehn. So habe er denn jede einzelne Ausgabe auf mögliche Druckfehler hin zu lesen, um gegebenenfalls das eine oder andere zu korrigieren.
Während seiner geheimnisvollen Tätigkeit lachte und spottete er immer wieder über sich selbst. Tai youzhi war seine liebste Wendung, um bestimmte Phasen seines Schreibens zu charakterisieren: zu unreif, zu kindisch, zu naiv! Er setzte mich damit nicht in geringes Erstaunen, denn er bezog sogar Gedichte aus dem Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre mit ein, also Werke, die ich nicht nur übertragen hatte, sondern auch äußerst schätzen gelernt hatte. Sollte ich mich in der Vergangenheit bei meiner Auswahl geirrt haben? Doch wir, die wir Literaturwissenschaft betreiben, wissen, man darf auf die Worte eines Autors, wenn dieser von sich selbst spricht, nicht viel geben. Unter- und Überschätzung sind bei der schreibenden Zunft gang und gebe. Gleichwohl fragte ich ihn neugierig, warum er denn Texte, zu denen er nicht mehr stehe, überhaupt edieren wolle. Erinnerte ich mich doch nur zu gut an ein Wort von Joachim Sartorius (geb. 1946), der mir einmal geraten hatte, alles, was in einem Keller liege, nicht mehr anzurühren. Damit meinte er, was als Geschriebenes oder als Entworfenes der Vergangenheit angehöre, was vielleicht das eine Mal bewußt oder unbewußt weggelegt worden sei, um es ein anderes Mal wieder hervorzuholen, all das solle für immer und ewig an seinem letzten Ort ruhen bleiben. Daran hatte ich mich über die zurückliegenden bald zwanzig Jahre einsichtig gehalten. Zu Unrecht? Ich war mir plötzlich nicht mehr sicher. Und so wollte ich verständlicherweise wissen, warum denn er, Yang Lian, Vergangenes zu redigieren und damit wieder herauszugeben, geneigt sei, wo es ihm doch heute in meinem Angesicht den einen oder anderen Lacher koste? Seine Antwort kam für mich einer wahren Herausforderung nahe: Man habe als Autor die Pflicht, seine Entwicklung zu dokumentieren. Wenn die gewogene Leserschaft nur die vom Verfasser für gut befundenen Werke kenne, könne sie diese auf Grund des mangelnden Hintergrundes nicht richtig einschätzen. Das ganze Leben, das ganze Schreiben, das gesamte Werk, ja alles jemals aus heiterem Himmel Entworfene müsse es sein.
Ich begann plötzlich, an mein Frühwerk zu denken, das mittlerweile, d.h. seit 1985 im Bonner Keller ruhte und seitdem nie mehr von mir angefaßt worden war. Wie es die Vorsehung, nicht der Zufall wollte, lernte ich vor der Lesung mit Yang Lian in Wien den Verleger Mag. Walter Fehlinger kennen. Ob ich nicht für ihn etwas habe, wollte er zu meiner Verblüffung von mir wissen. Ich gestand, derzeit außer meinem frühen Werk, dem ich aus genannten Gründen skeptisch gegenüber stehe, nichts Unveröffentlichtes vorweisen zu können. Aus der einen Frage wurden viele Fragen, aus der einen Antwort ergaben sich viele Antworten. An deren Ende hatte ich über mich neu nachzudenken: Sollte ich weiter dem Berliner Freund aller Poeten, Joachim Sartorius, folgen oder nicht doch lieber Yang Lian? Sollten mir nicht Oskar Pastior (1927-2006) und Martin Heidegger (1889-1976) eine gehörige Warnung sein? Während der aus Rumänien stammende Dichter befand, selbst seine stalinistischen Preisgesänge gehörten in sein Gesamtwerk, entblödete sich der Philosoph aus dem Breisgau nicht, die Schwarzen Hefte zu einer abschließenden Publikation freizugeben. Hatte nicht auch ich den einen oder anderen möglicherweise verfänglichen Vers während der Kulturrevolution (1966-1976) verfaßt? Hatte ich nicht unter dem Einfluß der Frankfurter Schule Anfang der 70er Jahre politisch zu einfach gedacht und während meines Pekinger Jahres (1974-1975) nicht das Syndrom Ich weiß alles entwickelt? Sollte ich also tatsächlich den Versuchungen des Geschäftsführers von Bacopa erliegen? Ich entschied mich während des Gespräches bei dem von mir geliebten Veltliner auf dem von mir geliebten Neuen Campus der Universität Wien für das kritische Wagnis und begab mich alsbald im Februar 2014 auf die Suche nach meinem poetischen Vermächtnis. Ich wurde leicht fündig, denn alles hatte seinerzeit mit dem Umzug aus Berlin seinen sicheren Ort gefunden, wenn auch unfreiwillig längst unterstützt von Staub und Spinnfäden........

Verlag[Firma Bacopa Verlag]
ISBN9783902735737
Auflage1
Sprache(n) Deutsch
Chinesisch
Ausführung Gebunden
Erschienen2015
Seitenzahl236
Cover Hardcover
Autor/in Wolfgang Kubin (Autor/in) , Dehui Hai Rao (Übersetzer/in)