Von roten Schleiern und bunten Eiern - Chinesische Lebensbräuche

Von Gerd Kaminski (Autor/in). | 220 Seiten | Erschienen: 01. 06. 2017 | ISBN: 9783903071360 | 1.Auflage

Das Buch enthält - aus dem Archiv des Österreichischen Instituts für China- und Südostasienforschung - zu allen dargestellten Bräuchen rare Illustrationen wie etwa die Frühlingsbilder, welche die Braut zwecks sexueller Aufklärung am Hochzeitstag unter ihrem Schurz trug oder eine überaus seltene viele Meter lange Bildrolle des Begräbnisses eines hohen Beamten im 19. Jahrhundert. Natürlich fehlen die Bildnachweise über zeitgenössische Lebensbräuche nicht. Der Autor forscht seit 50 Jahren über chinesische Volkskunde, ein ähnliches Buch wie dieses ist in deutscher Sprache noch nicht veröffentlicht worden.

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Das Buch befasst sich mit den chinesischen Lebensbräuchen, d.h. mit Verlobung, Hochzeit, Geburt, Großjährigkeit und Trauer. Der Autor zeigt die Wurzeln dieser Bräuche auf, welche oft weit in die vorchristlichen Jahrtausende zurückgehen und hält andererseits fest, was von den traditionellen Bräuchen trotz Kulturrevolution übrig geblieben ist. Der Leser wird über die Fülle von Ritualen überrascht sein, welche die Kulturrevolution überlebt haben. Das Werk schildert z.B. eingehend die in den Dörfern von den alten Frauen mündlich weitergegebenen Lamentos der Braut vor der Einholung durch den Bräutigam und viele andere traditionelle Aspekte der Verlobungsriten, welche sich, vom archaischen Buch der Lieder über den Ritenkodex des Neokonfuzianers Zhu Xi, bis in die heutige Zeit erhalten haben. Die Geschichte des roten Schleiers in Vergangenheit und Gegenwart wird ebenso beschrieben wie die Bedeutung von bunten Eiern bei Hochzeits- und Geburtsritualen. Im Werk wird erklärt, wie in China die Elster zum Hochzeitsvogel geworden ist, warum das Münzschwert bei schwangeren Frauen seine Bedeutung behalten hat und woraus dessen Schutzzauber besteht. Es wird aufgezeigt, dass der chinesische Storch das Fabeltier Qilin ist, welches auf seinem Rücken die Kinder bringt und dass neben der Jadefee noch mehr als zehn andere daoistische Gottheiten an der Geburt eines Kindes beteiligt sind. Das Fest der Hundert Tage nach Geburt wird ebenso erläutert wie der alte aber heute noch lebendige Brauch des zhuazhu, d.h. des Orakels am ersten Geburtstag des Kindes. Der Autor vergisst nicht bei den verschiedenen Lebensbräuchen auf die vielen damit zusammenhängenden Legenden und Märchen hinzuweisen und streut in den Text auch immer wieder alte Liedtexte ein, welche die verschiedenen persönlichen Festtage betreffen. Dem Leser wird im Kapitel Trauerriten auseinandergesetzt, warum selbst in der heutigen Zeit die Geburt eines männlichen Nachkommens, der die Opfertätigkeit für die Ahnen fortsetzen kann, von so großer Bedeutung ist und nach wie vor die Furcht besteht, dass sich bei Ausbleiben der Geburt von Knaben die Seele in einen hungrigen Geist verwandeln könnte.

REZENSIONEN

Prof. Dr. Wolfgang Kubin

Manchmal sage ich spöttisch, nur das Alter schaffe Großes, die Jugend aber gefalle sich in der Kritik des Alten und Großen. Zu beobachten ist in den letzten Jahren die Tendenz unter Sinologen, weniger Bücher und mehr Aufsätze zu schreiben bzw. gegebenenfalls Aufsätze, falls vorhanden, zu einem Buch zusammenzufassen. Grund hierfür ist die unsägliche Peer Review, sind die unsäglichen Refereed Journals. Wer Karriere machen möchte, begnügt sich mit einem Beitrag in einer namhaften Zeitschrift. Das Alter aber bedarf keiner Karriere mehr, also verfaßt es Monographien.

So zum Beispiel der Wiener Politologe Gerd Kaminski. Seit seiner Emeritierung legt er fast jedes Jahr ein neues Werk vor, meist in dem österreichischen Verlag namens Bacopa, der, urtümlich auf chinesische Medizin etc. spezialisiert, sich aber seit längerem auch dem kulturellen China im weitesten Sinne geöffnet hat, so der Literatur und dem Brauchtum.

Eines der „vorletzten“ Werke unseres Österreichers ist das hier zu besprechende Meisterwerk. Wie bei Bacopa üblich ist es opulent aufgemacht und wiegt schwer in der Hand. Auf jeder Seite gibt es einen augenfreundlichen und illustrierten Text. Der Autor muß über die Jahrzehnte ein fleißiger Sammler gewesen sein, denn er bringt immer wieder großartige Bilder und unbekannte Ablichtungen aus dem Privatbesitz ein. Wir dürfen vermuten, daß sein Heim einem Museum gleichkommt.

Was all die zahlreichen Bücher des Verfassers in den letzten Jahren auszeichnet, ist der gute Stil. Das Deutsch liest sich flüssig. Nur wenige Sinologen beherrschen die deutsche Sprache auf so hohem Niveau wie er. Kaminski bringt immer wieder seltene Wörter ein: Heischebrauch (S. 118), Doppelkörperfrauen (S. 123), Bindestein (S. 138), Tragstangenbühne (S. 146) oder Wegreiniger (S. 184). So wird Sinologie lebendig, ja Dichtung. Und wenn noch der Humor hinzukommt…! Man lese einmal den Abschnitt auf S. 198. Thema ist das Jenseits:

Nach Meinung der Daoisten kann man bloß als Mensch wiedergeboren werden, ausgenommen, dass man hässlich zur Schwiegermutter war. Doch die Buddhisten sind der Ansicht, dass man auch als Tier, Pflanze oder Gegenstand wiedergeboren werden kann, als Heuschreck etwa, Kohlkopf, Schöpflöffel oder – was sehr unangenehm sein muss – als Gong.“

Man mag im guten Sinne von Populärwissenschaft sprechen, welche in der Sinologie nur noch Helmut Schmidt-Glintzer beherrscht. Beiden kommt daher ein großes Verdienst zu, denn auf höchster Stufe schreiben sie verständlich und doch tiefsinnig.

Das Thema von Gerd Kaminski ist nicht neu. Die Väter der deutschsprachigen Chinakunde haben es schon vor gut hundert Jahren aufgegriffen. Etwa Wilhelm Grube (1855-1908). Aber: Unserem Wiener gelingt die Verbindung von Altertum und Gegenwart! Er zeigt, daß uralte Dinge wie Geburt, Verlobung, Hochzeit, Volljährigkeit und Totenbrauch ihre Präsenz bis auf den heutigen Tag bewahrt haben. Die Antike studieren bedeutet also das Hier und Heuer verstehen. Nicht nur China, sondern auch den „Westen“.

Amerika beliebt momentan als westliche Supermacht, jegliche Wissenschaft zu zerstören: Nur Schwarze dürfen über Schwarze schreiben etc. Also darf der österreichische Maler Friedrich Schiff eigentlich auch nicht in den dreißiger Jahren Pekinger Leichenzüge zeichnen (S. 188), da er kein Chinese, kein Pekinger, keine Leiche war?

Und wie habe ich mich aus diesem Buch verstanden? Meine erste Lehrerin für das Hochchinesische war im Wiener Sommer von 1968 Vivien Pick (Xu Zhixiu), hier unter Hochzeitsbräuchen (S. 77f) zu finden. Sie kam aus Tientsin und sagte statt „jintian“ (heute) immer „jintiiiiiin“.

All die von mir oben aufgelisteten Bräuche sind vom Autor detailliert besprochen, so sehr ins Einzelne gehend, daß die Ausgabe auch als faszinierendes Nachschlagewerk und bedeutendes Hilfsmittel eingestuft werden könnte. Obwohl ich mich als sinologischer „Greis“ eigentlich auskennen müßte, habe ich bei der Lektüre oft über mein Nichtwissen gestaunt. Der jugendlichen Leserschaft mag es anders ergehen. Da sie bereits alles zur Kenntnis genommen hat, wird sie erst in ihrer Todesstunde über chinesische Todesbräuche nachsinnen wollen. Bis dahin wird sie gern Aufsätze für amerikanische Fachzeitschriften vollenden, welche Ideologie, aber kein Faktenwissen mehr goutieren.

Quelle: Orientierungen 1/2019

Verlag[Firma Bacopa Verlag]
ISBN9783903071360
Auflage1
Sprache(n) Deutsch
Ausführung Gebunden
Erschienen2017
Seitenzahl220
Illustrationenzahl220
Cover Hardcover
Autor/in Gerd Kaminski (Autor/in)